Ein wunderbares Erlebnis

Ich erzähle euch heute eine Geschichte. Meine Geschichte, die ich vor einigen Jahren genauso erlebt habe. Es ist das erste Mal das sich diese Geschichte öffentlich mache. Warum ich euch diese Geschichte erzähle? Nun ja, es ist schlicht an der Zeit.

 

Es war ein Nachmittag im November. An diesem Nachmittag war ich sauer auf meinen Vater. Den genauen Grund weiß ich nicht mehr, ich weiß nur noch, dass sich meine Wut auf ihn steigerte, als er kurzerhand beschloss, er will heute den Pferdemist auf die Felder bringen und ich muss ihm helfen. Ich hatte natürlich etwas anderes geplant an diesem Nachmittag. Ein großer Teil davon war auch, mit meiner Württemberger Stute Ina wieder etwas Zeit zu verbringen, weil sie die letzten Tage davor viel zu kurz kam. Die Wut auf meinen Vater steigerte sich dann immer mehr, als er keinerlei Bemühung zeigte, sich etwas mehr zu beeilen, so dass ich wenigstens noch einen kleinen Ausritt machen konnte, bevor es ganz dunkel wurde. Irgendwann war  ich richtig stinksauer. So sauer, dass ich meinem Vater alles an den Hals wünschte und ihn mit der Mistgabel in meiner Hand am liebsten erstochen hätte - ich bin nicht stolz darauf, aber so war es.

 

Und plötzlich stand Ina am Ausgang des Offenstalls und schaute mich an. Mit einem Blick, der förmlich ausdrückte: "He du, komm rüber." Sie schaute mich weiter an und dann schaute sie zur Ausgangstür vom Offenstall. Dann wieder mich und dann wieder zur Tür. Es brauchte einen Moment - ich glaube, ich habe sie ziemlich lange recht dumm angestarrt - bis ich begriff, was sie mir sagen wollte. "He, lass uns abhauen. Los, eine kurze Runde um den Stall. Na los, vertrau mir!" Ich stellte das potentielle Mordwerkzeug zur Seite, schnappte mir das Reithalfter und kletterte ohne Sattel und ohne weiter zu überlegen, auf ihren Rücken. Wir sind nur einmal um den Hof geritten, was ca. 15min sind, aber in dieser Zeit passierte etwas Unglaubliches mit mir. In wenigen Minuten  wurde ich ruhig und der ganze Ärger auf meinen Vater und die Situation verflog innerhalb von wenigen Minuten. Ina lief gemächlich den Weg, völlig ruhig und überhaupt nicht am Gras an der Feldwegseite interessiert, was eigentlich selten bis gar nie ihre Art war. Als wir dann zurück auf dem Hof waren, fühlte ich mich auf eine Art richtig befreit. Der ganze Ärger war hatte sich in Luft aufgelöst. Ich fühlte mich so ruhig und gefestigt, wie ich es mir eine halbe Stunde davor nicht im Ansatz hätte vorstellen können. Die restliche Stallarbeit erledigte ich zusammen mit meinem Vater in einem Frieden, der zu beschreiben fast unmöglich ist. Ich fühlte mich, als wäre ich mit einer wunderbaren Kraft aufgetankt. Wenn ich heute noch daran denke, treibt es mir die Tränen in die Augen, so dankbar bin ich Ina dafür. Sie hat mir damals ein großes Geschenk gemacht. Vielleicht viel größerer, als sie es damals wollte. Dieser kurze Ausritt mit ihr, hat mich in all dem bestätigt, was ich bisher nur vermutete. Zu sehen und zu erleben, wie intelligent Tiere agieren. Wie feinfühlig sie sind und wie sie unsere Situationen begreifen und dafür sogar eine Lösung haben. Was für mich damals mit das allerschönste war, war, dass Ina mir dadurch auch zeigte, dass bei ihr meine ganze Liebe für sie und das Verständnis für ihre Situation, auch wirklich ankamen. Ina war ein ehemaliges Schulpferd aus einem Reitstall, in dem es ihr nicht gut ging. Die Vorbesitzerin hatte sie da raus gekauft, bekam aber das Durchgehen und ihre bockige Art nicht in den Griff. So kam Ina zu mir. Sie hatte zu dem Zeitpunkt keine Lust mehr auf Menschen, das hat sie mir mehr als deutlich gezeigt. Sie stand mir mit Vorliebe auf den Füssen herum, rempelte mich weg und drehte mir den Hintern zu, wenn ich sie von der Koppel holen wollte. Also begann ich mit ihr an ihrem Vertrauen zu arbeiten. Ich zeigte ihr, dass ich auf sie hörte, wenn sie etwas zu "motzen" hatte. Gab ihr Zeit und Raum, aber ließ mich nicht abschütteln. Diese Arbeit hat mehr als drei Jahre gedauert. Aber jeder einzelne Tag und jeder blauen Fleck war es wert - allein für diese Erinnerung.